Zeitenwende


Wort zum Sonntag, 19.02.2023 (Estomihi, Letzter So. v. d. Passionszeit)

von Gerard Minnaard, Woltersburger Mühle
Gerard Minnaard (Foto: Alexander Mertsch)

Es ist noch nicht lange her, dass wir Weihnachten gefeiert haben. Weihnachten, das heißt: Friede auf Erden. Weihnachten, das ist eine alte, große Vision, verbunden mit einem Kind mit dem Namen Jesus. Jesu Weg hat Geschichte gemacht. Denn wir teilen die Zeit in ein „Vor“ und ein „Nach“ Christus. Jesus, der Friedensfürst, der heilend und teilend unterwegs war und grenzüberschreitende Gemeinschaft gestiftet hat, steht in der Mitte unserer Zeit. 

Wie verhält sich diese weihnachtliche Zeitenwende, von der wir, bewusst oder unbewusst, tagtäglich ausgehen, zur Zeitenwende, um die es in der Sondersitzung des Deutschen Bundestags zum Krieg gegen die Ukraine ging.

Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte:
„Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents. Mit dem Überfall auf die Ukraine hat der russische Präsident Putin kaltblütig einen Angriffskrieg vom Zaun gebrochen, einen durch nichts zu rechtfertigenden Angriff auf ein unabhängiges Land, auf die Friedensordnung in Europa und in der Welt.“

Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen humanitären Aufbruch, der in verschiedenen globalen Strukturen und Institutionen Gestalt angenommen hat. Die Gründung der Vereinten Nationen, der internationale Gerichtshof und die Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sind Meilensteine dieses Aufbruchs, der mehrere Jahrzehnte die Politik vieler Länder geprägt hat. Der Angriff auf die Ukraine hat den Glauben an diese internationale Friedensordnung erschüttert.

Immer mehr Menschen gehen davon aus, dass die Vision einer solchen Friedensordnung gescheitert ist. Was bedeutet das für die Zeitenwende „unseres“ Weihnachtsfestes?

Ich möchte behaupten, dass die Scholz’sche Zeitenwende immer weniger mit der christlichen Zeitenwende zu tun hat. Selbstverständlich hat die Ukraine das Recht, sich zu verteidigen. Ebenso gibt es gute Gründe für Waffenlieferungen als Nothilfe. Und auch der Zustand unserer eigenen Armee sollte in Ordnung sein. Doch die zunehmende Reduzierung der Anstrengungen der Konfliktlösung auf militärische Fragen ist meines Erachtens nur schwer mit der Botschaft von dem Kind in der Krippe zu vereinbaren.

Ich verstehe nebenbei gesagt auch nicht, warum Führung nur noch Kraftmeierei und nicht auch „Nein“- oder „Noch-nicht“-Sagen sein soll. Ich glaube (!), dass die biblische Überlieferung uns nach wie vor herausfordert, auf eine globale Friedensordnung auf dieser Erde zu hoffen und dafür zu arbeiten. Wir können das Friedensreich nicht schaffen. Alles was wir tun, ist bruchstückhaft. Doch in der Weihnachtsbotschaft ist das Kleine, das Fragmentarische nicht der Beleg für das unausweichliche Scheitern der Verheißung des Friedens auf Erden, sondern vielmehr Zeichen für das verheißene Kommen.

Gerard Minnaard
Woltersburger Mühle