
Jeden Vormittag nach dem Frühstück macht er sich auf den Weg. Schließt die Tür hinter sich zu, steigt ins Auto und fährt los. Kennt jeden Baum und jeden Strauch am Wegesrand. Immer derselbe Weg ist es, seit drei Jahren schon. Anfang 80 ist er inzwischen und besucht täglich seine Frau im Pflegeheim.
„Guten Morgen, Liebling, hast du gut geschlafen?“ Er streicht ihr sanft über die Wange. Sie sieht ihn mit großen Augen an, antworten kann sie nicht mehr. „Schau mal, ich habe dir ein paar Zweige aus dem Garten mitgebracht.“ Der Garten war immer ihr Reich gewesen, das meiste hat sie dort früher allein gemacht. Nie ist es ihr zuviel geworden. Oft hat sie abends ein paar Zweige oder Blumen mit nach drinnen genommen und auf den Tisch gestellt. Ihr Blick wandert zu den gelben Forsythien. Ob sie sie erkennt?
Damals sei ihm die Entscheidung schwer gefallen, seine Frau einer Pflegeeinrichtung anzuvertrauen, erzählt er mir. „Die Diagnose Demenz haben wir vor vier Jahren bekommen. Anfangs dachte ich: Das schaffen wir zuhause. Der Pflegedienst unterstützte uns sehr. Aber irgendwann ging es nicht mehr“. Er atmet tief durch. „Sie wurde so unruhig, stand dauernd unter Strom und wollte irgendwo hin. Ich konnte sie nicht einmal mehr für eine halbe Stunde allein lassen. Manchmal stellte sie auch einfach den Herd an. Irgendwann konnte ich nicht mehr. Fast wäre ich selber krank geworden.“
Seither besucht er seine Frau täglich, betritt das Heim, grüßt hier und da auf dem Weg zu ihrem Wohnbereich, alle kennen ihn. Und auch ihm ist alles vertraut.
„Es geht ihr gut hier. Die Mitarbeitenden sind freundlich und aufmerksam, manche geradezu liebevoll. Unser gemeinsamer Tagesbeginn hier tut mir selber gut. Ich erzähle ihr, was gerade so los ist, oder lese ihr etwas vor. Manchmal hören wir zusammen Musik und bei schönem Wetter schiebe ich sie durch die Grünanlagen. Danach habe ich dann immer noch genug Zeit für alles andere.“
So fährt er zu ihr, Tag für Tag, und hält ihr die Treue. So, wie sie es sich als junges Brautpaar bei ihrer Hochzeit vor vielen Jahren gegenseitig versprochen haben „… in guten und in schlechten Zeiten.“ Dabei bleibt es ja, auch wenn sie jetzt nicht mehr zusammen wohnen.
Und ich denke an den Bibelvers: „Die Liebe ist geduldig und gütig; sie hört niemals auf. Was bleibt, sind Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten von ihnen ist die Liebe.“ (aus dem 1. Korintherbrief, Kapitel 13)
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Ev.-luth. Kirchengemeinde ...