
An diesem Sonntag geht es mal wieder um Schafe. „Seine Schäfchen zählen“, das meint: Kirchenmitglieder. Diese oft humorvell gemeinte infantile Rede von erwachsenen und selbstbewussten Mitgliedern beschreibt ein Problem, wie Mitgliedschaft in der Kirche oft wahrgenommen wird. Schafe stehen für willenlose und gehorsame Wesen. Sie taugen nicht als Gleichnis für Mitbestimmung und Selbstbewusstsein. Schafe werden als Opfer gesehen. Wer will schon ein Schaf sein? Kein Wunder, dass es immer weniger „Schafe“ werden.
Im Wochenspruch für die kommenden Tage sagt Jesus: „Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören auf meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen ewiges Leben.“ Es klingt auf den ersten Blick nach der Vereinnahmung von Menschen als folgsamen Schafen. Aber tatsächlich geht es in diesem Abschnitt eher um den Hirten als um die Schafe. Viel zu lesen ist in diesen Zeilen, dass es schlechte „Hirten“ gibt. Menschen, die ihren eigenen Vorteil suchen. Sie brechen in den Stall ein, vergreifen sich an den Tieren. Nutzen sie aus. Sie stehlen und töten. Die Verse spiegeln die Welt mit ihren gegenwärtigen Schrecken von Krieg, Gewalt und Ausbeutung. Menschen werden rücksichtslos zu Opfern gemacht. Da bleibt wenig Raum für Schäferidyllen unter blauem Himmel.
Die Diebe und Gewalttäter sind erschütternderweise sogar in den Bereich eingedrungen, in dem gern vom Hirten, von den grünen Auen und vom frischen Wasser die Rede ist. Viele Kinder und Jugendliche wurden und werden von schlechten und verantwortungslosen Pastoren, Priestern, Trainern und Lehrern missbraucht, ausgenutzt und für ihr Leben gezeichnet.
Ein guter Hirte hat das Wohl seiner anvertrauten Schutzbefohlenen im Blick. Er stärkt und beschützt sie und ihre Individualität. Er ist an ihrer Seite im Guten wie im Schwerem und lässt sie nicht zu Opfern werden. „Ich bin der gute Hirte“, sagt Jesus. „Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.“ Am Ende ist er selbst das Lamm Gottes. Er tritt im Leiden und Sterben auf die Seite der Opfer und Gequälten. Ihnen gilt die Barmherzigkeit Gottes vor allem - allen Betroffenen von Gewalt, Unrecht und menschlicher Brutaliät.
Christus ist ein guter Hirte nicht nur für die, die seine Stimme hören und schon immer gehört haben, sondern für alle – auch für die, denen menschliche „Hirten“ ausgerchnet den Zugang zu kirchlichen Quellen und Traditionen verschlossen haben.
Pastor Martin Hinrichs,
Evangelisch-reformierte Kirchengemeinde Lüneburg-Uelzen