Sie sitzt mit ihrer besten Freundin im Café. Leise sagt sie: „Ich sehe eigentlich nur noch seinem Entschwinden zu.“ - Wie merkwürdig das klingt. Sie holt tief Luft, sucht nach den richtigen Worten.
„Von Tag zu Tag wird er mir fremder. Und ich ihm. Meistens weiß ich gar nicht, wo er in Gedanken gerade ist. Wenn ich da an früher denke: Morgens haben wir zusammen die Zeitung gelesen und über die Nachrichten diskutiert. Am Wochenende stundenlang Gespräche geführt, uns über Gott und die Welt unterhalten. Es war so interessant, seine Meinung zu hören. Oft hat er mich zum Lachen gebracht mit seinem Galgenhumor. Und heute? Stell dir vor: Gestern kippte er beim Essen plötzlich sein Mineralwasser ins Gemüse.“
Sie schüttelt den Kopf, als könne sie selbst nicht glauben, was sie ihrer Freundin da gerade anvertraut. „Verdammte Krankheit!“ Seufzend schiebt sie ihren Kaffeebecher von sich. „Entschuldige, aber es ist so schwer, ihn ans Vergessen zu verlieren.“
Demenz. Ein geliebter Mensch verabschiedet sich aus unserer gemeinsamen Wirklichkeit. Wohin gehst du? Wo bist du gerade? Was geschieht mit dir, mit uns?
„Und dann gibt es diese Momente, da schaut er mich an, fängt an zu lachen und strahlt über das ganze Gesicht. Keine Ahnung, was ihn da gerade erfreut. Aber mir wird ganz warm ums Herz und ich bin froh, weil ich sehe, dass es ihm gut geht jetzt gerade.“
Ein tröstendes Bild malt uns die Bibel vor Augen: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten." (Psalm 139)
Der Mensch, der sich in der Demenz unaufhaltsam verändert und in seine eigene Welt entschwindet, er wird nicht im Nichts untergehen. Vielleicht gleitet er, wie ein Vogel auf den Flügeln der Morgenröte, in die Ferne, ins Licht, in eine andere Welt? Weit fort von uns, aber nicht ins Leere. Leicht und unbeschwert mit einem Ziel, das wir nicht kennen. Vielleicht fällt es uns leichter, ihn ziehen zu lassen, wenn wir glauben können, dass Gott ihn dort erwartet.
Joseph von Eichendorff drückte diesen tröstlichen Gedanken in seinem bekannten Gedicht so aus: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“
Jetzt am 21. September ist wieder Welt-Alzheimertag.
Pastorin Astrid Neubauer,
Beauftragte für Seelsorge im Alter im Ev.-luth. Kirchenkreis Uelzen